Mit dem neuen Gesetzesentwurf rund um das Zivilrechtliche Indexierungs-Anpassungsgesetz (ZIAG) will die österreichische Bundesregierung das juristische Chaos rund um indexgebundene Mieten beenden. In der Praxis geht es um viel: Rückzahlungen in Millionenhöhe, unklare Vertragsklauseln und ein Wohnungsmarkt im Spannungsfeld zwischen Inflation und leistbarem Wohnen. Während die Regierung von einem „großen Wurf“ spricht, sehen Mietervertreter das Gesetz kritisch – sie sprechen sogar von einer „Belohnung für Rechtsbruch“.
Viele Mietverträge in Österreich enthalten Wertsicherungsklauseln, auch Indexklauseln genannt. Damit wird die Miete an einen Preisindex (meist den Verbraucherpreisindex, VPI) gekoppelt, um die Inflation auszugleichen. Klingt fair, wenn alles korrekt abläuft. Doch 2023 urteilte der Oberste Gerichtshof (OGH) in mehreren Fällen, dass bestimmte Formulierungen solcher Klauseln gegen das Konsumentenschutzgesetz verstoßen können. Kernproblem: Wurde im Mietvertrag nicht ausdrücklich ausgeschlossen, dass die Miete in den ersten zwei Monaten nach Vertragsbeginn erhöht werden kann, stuften die Höchstrichter die Klausel als “gröblich benachteiligend“ für Mieter:innen und somit unwirksam ein.
Das sorgte für große Verunsicherung: Vermieter fürchteten um ihre Einnahmen, Mieter hofften auf Rückzahlungen. Bei unzähligen bestehenden Mietverträgen hätte nämlich die Grundlage für künftige Indexanpassungen gefehlt, wenn deren Klauseln unzulässig wären. Rückforderungsansprüche für bereits gezahlte Erhöhungen standen ebenfalls im Raum, theoretisch hätten Mieter viele Jahre an inflationsbedingten Mieterhöhungen zurückverlangen können. Im Extremfall wären alle bisher vorgenommenen Mietzinsanpassungen ungültig gewesen und man hätte sie bis zu 30 Jahre zurückfordern können. Verständlich, dass hier Alarmstimmung herrschte: Ein derartiger Ausgang wäre für die Immobilienwirtschaft einem „mittleren Erdbeben“ gleichgekommen.
Um dieses Wirrwarr zu beenden, hat die Regierung (auf Bundesebene ist hier eine schwarz-rot-pinke Koalition am Werk) ein Maßnahmenpaket vorgelegt. Ein zentrales Element darin ist das Zivilrechtliche Indexierungs-Anpassungsgesetz (ZIAG). Damit soll die leidige Causa der Indexklauseln „ein für alle Mal erledigt“ werden, so der politische Anspruch. Konkret sind Änderungen im Konsumentenschutzgesetz (KSchG) und im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) vorgesehen, um Rechtssicherheit zu schaffen. Die wichtigsten Punkte im Überblick:
Aus für die 2-Monats-Sperrfrist: Künftig soll die oben erwähnte Regel im KSchG, wonach in den ersten zwei Monaten nach Vertragsabschluss keine Preiserhöhung durch eine Indexklausel erfolgen darf, für langfristige Verträge nicht mehr gelten. Geplant ist ein Passus, der Dauerschuldverhältnisse (wie Miet-, Energie- oder Handyverträge) ausnimmt, sofern die Leistungen über mehr als zwei Monate laufen. Mit anderen Worten: Bei mehrjährigen Mietverhältnissen würde eine Indexanpassung auch innerhalb der ersten zwei Monate nicht automatisch als unzulässig gelten. Brisant dabei: Diese Änderung soll rückwirkend für alle bestehenden Verträge gelten. Damit würden bisher womöglich unwirksame Klauseln im Nachhinein legalisiert.
Jährliche Inflationsbremse: Parallel dazu, im neuen Mieten-Wertsicherungsgesetz als Teil des Pakets, führt die Regierung eine Deckelung für künftige Mietanpassungen ein. Ab 2026 sollen Mieten nur noch einmal jährlich zum 1. April an die Inflation angepasst werden dürfen. Dabei gilt: Maximal 3% pro Jahr dürfen automatisch aufgeschlagen werden; alles, was darüber liegt, soll nur zur Hälfte an die Mieter weitergegeben werden. Beispiel: Beträgt die Inflation 4%, steigt die Miete um 3,5% (3% + die Hälfte von 1%). Diese Mietpreisbremse soll auch für freie Mietverträge (ohne Mietzinsbegrenzung nach Mietrecht) gelten und die zuletzt stark gestiegenen Wohnkosten dämpfen.
Fristen für Rückforderungen: Um die genannten extremen Rückforderungen zu begrenzen, sieht das Paket vor, dass Mieter*innen unrechtmäßig gezahlte Erhöhungen nur mehr für die letzten fünf Jahre einklagen können. Das ist zwar immer noch eine beachtliche Zeitspanne, aber weit weniger als die bisherigen Möglichkeiten (die teils 30 Jahre umfassten). Wichtig: Diese Verkürzung soll nicht gelten, wenn eine Klausel missbräuchlich im Sinne des EU-Verbraucherrechts ist - hier muss laut Justizministerium weiterhin voller Schutz bestehen. Welche Fälle das im Einzelnen betrifft, dürfte allerdings für neue Abgrenzungsfragen sorgen.
Längere Befristungen (mit Ausnahmen): Ein weiterer Baustein betrifft befristete Mietverträge. Die Mindestbefristungsdauer soll, für Vermieter, die im Sinne des KSchG Unternehmer sind, von derzeit 3 auf 5 Jahre verlängert werden. Private Vermieter (z.B. jemand, der eine einzelne Eigentumswohnung vermietet) wären davon ausgenommen und könnten weiterhin kürzer befristen. Diese Differenzierung soll verhindern, dass Kleinanbieter vom Vermieten abgeschreckt werden. Allerdings macht sie das Mietrecht nicht einfacher: Schon jetzt ist nicht immer glasklar, ab wann jemand als „Unternehmer“ im Sinne des KSchG gilt. Hier befürchtet der OGH neue Streitigkeiten, wer unter die 5-Jahres-Regel fällt.
Das Gesamtpaket, inklusive ZIAG, soll nach Plan Anfang 2026 in Kraft treten. Die Regierung bewirbt es als großen Wurf für mehr Rechtssicherheit: Alle Beteiligten würden Planungssicherheit und stabile Rahmenbedingungen erhalten, heißt es aus dem Justizministerium. Doch die Resonanz darauf ist gespalten.
Die Mieterorganisationen und Konsumentenschützer zeigen sich vom ZIAG-Entwurf alles andere als begeistert, im Gegenteil. In der nun abgeschlossenen Begutachtungsphase hagelte es scharfe Kritik und warnende Stimmen seitens der Mietervertreter. Warum? Aus ihrer Sicht würde das Gesetz in der vorliegenden Form einseitig die Vermieterseite begünstigen und bestehende Verbraucherschutz-Errungenschaften aushebeln. Die Arbeiterkammer (AK) findet besonders deutliche Worte und spricht von einer „erheblichen Schwächung des Konsumentenschutzes“, ja sogar von einer finanziellen Belohnung für bisher rechtswidrige Praktiken. Konkret bemängeln die Interessensvertreter der Mieter etwa:
Legalisierung von Rechtsverstößen: Laut AK dient der Entwurf nicht der fairen Klarstellung unklarer Klauseln, sondern der Sanierung bestehender Rechtswidrigkeiten. Klauseln, die nach aktueller Rechtslage unwirksam wären, würden per Gesetz für gültig erklärt. Damit würden Ansprüche der Konsument*innen in Höhe von hunderten Millionen Euro schlicht vernichtet, kritisiert die AK. Verbraucher, die auf Rückzahlung gehofft oder bereits geklagt haben, gingen leer aus.
Retroaktive „Absolution“: Besonders bedenklich finden Mietervereinigung und AK die geplante Rückwirkung der neuen Regeln. Dadurch würden potentiell unzulässige Indexklauseln nachträglich legitimiert, anstatt dass Mieter zumindest für die Vergangenheit einen Vorteil aus der alten Rechtslage ziehen könnten. Für Mieter, die in Erwartung eines positiven Urteils bereits Klage eingereicht haben, wäre das fatal: Sie müssten womöglich sogar die Verfahrenskosten der Vermieter tragen, obwohl diese mit den fraglichen Klauseln ursprünglich rechtswidrig gehandelt hatten, nun aber plötzlich dank neuem Gesetz doch im Recht wären.
„Irrtum“ als Ausrede: In den Erläuterungen zum Gesetz steht sinngemäß, dass es nicht als grobe Benachteiligung gelten müsse, wenn ein Vermieter irrtümlich eine falsche Indexzahl (z.B. vor Vertragsbeginn) verwendet hat. Die AK hält das für völlig verfehlt: Eine gröbliche Benachteiligung lasse sich nicht durch einen bloß behaupteten Irrtum des Vermieters relativieren, das widerspreche dem grundlegenden Gedanken des Inhaltskontrolle im ABGB. Mit anderen Worten: Unwissenheit schützt vor Unwirksamkeit nicht, findet die AK.
Umgehung von EU-Recht? Die Konsumentenschützer vom VKI (Verein für Konsumenteninformation) warnen, dass einige geplante Bestimmungen unter dem Mindest-Schutzniveau des EU-Verbraucherrechts liegen könnten. Insbesondere die oben erwähnte Ausnahme für „missbräuchliche“ Klauseln zeigt: Hier räumt man selbst ein, dass man EU-rechtlich heikle Punkte umschiffen muss. Der VKI hält den Entwurf insgesamt für ungeeignet, echte Rechtssicherheit herzustellen, und lehnt ihn in dieser Form ab.
Schönfärberei bei den Folgen: Verwundert zeigt sich der VKI auch darüber, dass in der Folgenabschätzung des Justizministeriums steht, das Vorhaben habe „keine wesentlichen finanziellen Auswirkungen auf Verbraucher“. Angesichts der potenziellen Milliarden, um die es bei der Gültigkeit oder Ungültigkeit hunderttausender Mietverträge geht, wirkt diese Aussage bestenfalls optimistisch, im schlimmsten Fall realitätsfremd, so der Tenor. Zudem befürchtet der VKI, dass eine vereinfachte Möglichkeit zu Mieterhöhungen (etwa durch Wegfall der 2-Monatsfrist) langfristig dazu führen könnte, dass Verbraucher für viele Leistungen noch tiefer in die Tasche greifen müssen und die Inflation weiter angeheizt wird.
Zusammengefasst kritisieren die Mietervertreter, dass das ZIAG nicht Klarheit für alle schafft, sondern vor allem Vermieter begünstigt und Mieterrechte schmälert. Anstatt Unklarheiten zu beseitigen, würden neue geschaffen und zwar zu Lasten der Schwächeren am Markt, so der Vorwurf. Die AK kommt gar zum Schluss, große Teile des Entwurfs seien verfassungswidrig und unionsrechtswidrig. Ihr Fazit: So könne das nicht umgesetzt werden, man fordert eine grundlegende Neukonzeption.
Interessanterweise sind aber auch die Vertreter der Immobilienwirtschaft nicht rundum glücklich mit dem Entwurf, wenn auch aus anderen Gründen. Zwar begrüßen Vermieterverbände grundsätzlich die Intention, das lange schwelende Indexklausel-Chaos endlich zu lösen. Doch einige Details stoßen auf Kritik oder den Wunsch nach Präzisierung:
Die Wirtschaftskammer (WKÖ) sieht im ZIAG zwar „ein starkes Signal für den heimischen Markt“. Sie regte in ihrer Stellungnahme aber an, ergänzend eine gesetzliche Ersatzregelung vorzusehen für den Fall, dass eine Wertsicherungsklausel ungültig ist. Sprich: Was passiert genau, wenn eine Indexklausel unwirksam war? Hier wünscht man sich einen Default-Mechanismus, damit nicht völlige Rechtsunsicherheit entsteht. Außerdem plädiert die WKÖ für eine klare Verjährungsregel bei Rückforderungsansprüchen, also eindeutig zu definieren, ab wann die (gekürzte) Frist läuft und für welche Fälle sie gilt. Diese Forderungen zielen darauf ab, die Rechtssicherheit tatsächlich zu erhöhen, damit nicht die nächste Streitlawine losgetreten wird.
Der Haus- und Grundbesitzerbund (ÖHGB) und der Immobilienverband ÖVI begrüßen ebenfalls, dass der Gesetzgeber aktiv wird. Allerdings bezweifeln beide, dass der vorliegende Entwurf das erklärte Ziel, nämlich Klarheit und Rechtssicherheit, wirklich erreicht. Teilweise wird sogar befürchtet, dass das Mietrecht durch die neuen Differenzierungen noch komplizierter wird. Beispielsweise die unterschiedliche Befristungsdauer je nach Vermietertyp (Unternehmer vs. Privat) lasse neue Abgrenzungsprobleme erwarten. Hier schwingt die Sorge mit, dass am Ende mehr Ungewissheit herrscht als zuvor, nur eben auf anderem Terrain.
Selbst der Oberste Gerichtshof meldete in seiner Begutachtung Bedenken an. Aus Sicht des OGH besteht „keine ausreichende Klarheit über den Regelungsbedarf und die Auswirkungen im geltenden Recht“. Man müsse die vorgeschlagenen Maßnahmen und ihre technisch-juristische Umsetzung daher kritisch sehen, so die vorsichtige Mahnung. Zudem betont der OGH, wie erwähnt, dass europarechtliche Vorgaben unbedingt beachtet werden müssen, damit wirklich Rechtssicherheit eintritt und nicht neue Verfahren vor EU-Gerichten drohen.
Unterm Strich wünschen sich also auch die sachkundigen Stimmen auf Vermieterseite und die Rechtsexperten noch Feinschliff. In einigen Punkten gehen die Meinungen auseinander (der ÖHGB etwa hätte wohl gerne weniger Mietpreisdeckelung, während die Mietervereinigung gerne mehr Mieterschutz sähe). Aber alle Seiten scheinen sich einig, dass der Entwurf in der jetzigen Form noch Verbesserungsbedarf hat, um sein Ziel, den gordischen Knoten bei den Index-Mieten zu durchschlagen, tatsächlich zu erreichen.
Das Fazit fällt gespalten aus. Einerseits ist das Bestreben der Regierung nachvollziehbar: Nach mehreren widersprüchlichen Gerichtsurteilen herrschte Chaos, und irgendwie musste man die Situation bereinigen. Ein “Weiter so”hätte zu unzähligen Prozessen und Unsicherheiten für alle Beteiligten geführt – kein guter Zustand für den Wohnungsmarkt. Das ZIAG samt Wohnpaket 2026 ist der Versuch, Rechtssicherheit zu schaffen und extreme Folgen (wie rückwirkende Mietsenkungen en masse) abzuwenden. Dazu gehören auch für Mieter vorteilhafte Elemente wie die Deckelung künftiger Erhöhungen und längere Mindestvertragsdauern für mehr Stabilität.
Andererseits stellt sich die Frage, ob die Balance gewahrt ist. Kritiker monieren, dass das Pendel zu stark zugunsten der Vermieter ausschlägt: Rechtswidrig handelnde Vermieter kämen ungeschoren davon, während brave Mieter das Nachsehen hätten. Der Vorwurf einer „Belohnung für Rechtsbruch“ ist drastisch formuliert, bringt aber die Enttäuschung vieler Mieterschützer auf den Punkt. Gerade in Zeiten hoher Inflation und ohnehin steigender Wohnkosten ist das Thema politisch brisant.
Wie es weitergeht? Der Begutachtungsentwurf wird nun überarbeitet. Ob und welche Einwände berücksichtigt werden, bleibt abzuwarten. Im Parlament dürfte es jedenfalls noch Debatten geben. Möglich, dass die Regierung an einigen Stellen nachbessert, um Verfassungskonformität und EU-Rechtskonformität sicherzustellen und um Akzeptanz zu erhöhen. Für Mieter:innen bleibt zu hoffen, dass am Ende ein Gesetz herauskommt, das beide Seiten fair behandelt: Klar formulierte Indexklauseln und Planungssicherheit, ohne dass der Konsumentenschutz unter die Räder kommt. Ob das ZIAG in der Praxis hält, was es verspricht, wird sich wohl erst zeigen, wenn die neuen Regeln in Kraft sind und möglicherweise die nächsten Gerichtsentscheidungen dazu vorliegen.
Quellen: Vgl. Der Standard, Die Presse, Kurier, ORF